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Die latente Überforderung des ersten Monats als angehende Lehrkraft ist immer noch recht präsent und ich finde mich damit ab, dass dieses diffuse Gefühl der Orientierungslosigkeit noch eine ganze Weile anhalten wird. Der zweite Monat bot mir eine Menge Abwechslung: Die ersten Unterrichtsbesuche habe ich überstanden, das erste Krisengespräch geführt und den ersten Ausflug einer meiner Bezugsklassen begleitet.
Nähere Informationen zum Aufbau des Referendariats an Berliner Grundschulen befinden sich in der Übersicht.
Die ersten Unterrichtsbesuche
“Die Theorie sitzt, die Praxis wird ein Abenteuer…”, denke ich mir vor jeder Unterrichtsstunde, deren Verantwortung ich trage. Doch wenn ein Unterrichtsbesuch (UB) ansteht, rast dieser Satz wie ein Mantra durch meinen Kopf, in der Hoffnung, dass mich die Wiederholung dieses sehr wahren Satzes irgendwie beruhigt. Denn es ist ja nun mal so: Ich kann die Unterrichtsstunde noch so gut planen und vorbereiten und noch so viele Eventualitäten mitbedenken, am Ende können Willkürlichkeiten wie Beleidigungen zwischen Lernenden oder eine Biene im Klassenraum die geplante Stunde sprengen.
Mir ist bewusst, dass auch solche Unterrichtsstunden positiv bewertet werden, wenn die Lehrkraft spontan und situationsadäquat auf Unvorhergesehenes reagieren kann – das ist ja exakt das, was Lehrkräfte tagtäglich tun und was ihre Professionalität in gewisser Weise kennzeichnet. Aber es ist für Lehrlinge wie mich auch die größte Hürde, weil solche kleinen Zaubertricks eben nicht durch Bücher, sondern lediglich durch Erfahrung erlernt werden. Als kleines praktisches Fallbeispiel möchte ich kurz die unvorhergesehenen Fallstricke meines Mathe-UBs erläutern:
Was lief schief im Mathe-UB?
Das grobe Ziel dieser Unterrichtsstunde war, dass die Lernenden (Jahrgang 4 bis 6) in einer Gruppenarbeit einen Rechenweg aufstellen, um die Frage “Wie viele Stunden hast du in deinem Leben bisher geschlafen?” beantworten zu können. Solche Fragen gehören zur Kategorie der sogenannten “Fermi-Aufgaben”, für welche ich eine ganz große Liebe entwickelt habe, weil sie kreative Lösungswege provozieren und zudem individuell auf jedes Anforderungsniveau angepasst werden können. An dem (der Lerngruppe bereits bekannten) Aufgabenformat lag es nicht, dass die Stunde im Chaos versank und auch nicht an meiner Verlaufsplanung, denn die gleiche Aufgabe habe ich bereits in einer Parallelklasse praktisch getestet – hat super funktioniert! Meine Ausgangsgedanken waren demnach sehr positiv. Ich dachte tatsächlich, dass in der Praxis gar nicht mehr so viel schief laufen kann.
Der erste Bruch erfolgte nach der Einleitung der Gruppenarbeit. Die Gruppenzusammensetzungen habe ich in weiser Voraussicht extra eine Woche vorher gemeinsam mit der Klasse festgelegt und praktisch erprobt. Alle waren zufrieden. Das hielt manche Kinder allerdings nicht davon ab, sich während meines UBs zu weigern, mit ihren zugeteilten Gruppenmitgliedern zusammenzuarbeiten. Meine Lösungsversuche halfen zunächst auch nicht, da ich ihnen nicht erlaubte, die Gruppen zu wechseln, weil dieser Wechsel zum einen alles durcheinander gebracht und zum anderen noch meine Autorität untergraben hätte, da sie lernen müssen, in festgelegten Gruppen miteinander zu kooperieren.
Als sie sich dann zusammengerauft hatten, scheiterte es schließlich an den verfügbaren Sitzplätzen. In der Klasse gibt es – bis auf vereinzelte Regelungen – keine festen Sitzplätze und nicht genug Tische mit Stühlen für alle, sodass die Lernenden täglich zwischen Tisch- und Bodenplätzen (mit kleinen Tischen und Sitzkissen) hin und her wechseln. Es ist also nichts Ungewöhnliches, dass sie sich bei Gruppenarbeiten einen passenden gemeinsamen Arbeitsplatz suchen müssen. Doch an diesem Tag hat jene Suche für Streits zwischen den Gruppen gesorgt, sodass sich zwei Gruppen komplett geweigert haben, die Aufgabe zu bearbeiten, weil sie nicht ihren angedachten Platz erwischt haben und nicht auf dem Boden arbeiten wollten.
Während ein paar Gruppen also entweder mit einem wütenden Blick oder mit einem teuflischen Lächeln im Gesicht nichtstuend im Klassenraum herumstanden und meinem verzweifelten Gesicht kaum Gnade entgegenbrachten, versuchten die wenigen restlichen Gruppen, ihren Arbeitsauftrag zu erfüllen und haben dabei eine weitaus schlechtere Begleitung durch mich erhalten als nötig gewesen wäre. Die Klärung einzelner Fragen oder das Hinweisen auf bestimmte Dinge, um die Gruppenarbeiten fruchtbar voranzutreiben, wären meine Aufgabe gewesen, welche ich nur zu gerne besser wahrgenommen hätte, wäre ich nicht durch die herumstehenden Gruppen anderweitig beschäftigt gewesen.
Das Ende der Stunde versuchte ich dann – völlig aus dem Konzept gebracht – noch irgendwie in die letzten drei Minuten zu quetschen. Das hätte ich lassen sollen. Ein klarer Cut und eine kurze Reflexion (“Wie weit seid ihr gekommen? Was lief gut, was nicht? Was habt ihr bisher herausgefunden?”) wären um einiges sinnvoller gewesen für alle Beteiligten.
Schweißgebadet und mit einem hochroten Kopf verließ ich gemeinsam mit meiner Fachseminarleitung den Klassenraum. Das war die Hölle. Und trotzdem war nicht die gesamte Stunde eine Katastrophe, sondern nur Teile davon. Und das Wichtigste: Auch diese Teilbereiche waren in diesem Moment weitaus schlimmer für mich persönlich als für die beobachtende Fachseminarleitung, die schon ganz andere unterrichtspraktische Fails miterlebt hat. Außerdem sollte man die positive Fehlerkultur auch bei sich selbst anwenden, also klopfe ich mir auf die Schulter und beglückwünsche mich für diese reichhaltige Lerngrundlage, die ich mir mit dem entstandenen Chaos geschaffen habe!
Der schriftliche Unterrichtsentwurf …
… ist einer der größten Schreckgespenster im Referendariat. Deshalb werde ich sicher in ein paar Monaten erneut auf dieses Thema zu sprechen kommen und ein ausführliches Muster für Unterrichtsentwürfe bereitstellen. Zu diesem Zeitpunkt möchte ich lediglich kurz skizzieren, was in einem Unterrichtsentwurf von auszubildenden Lehrkräften inhaltlich erwartet wird. Dazu muss gesagt werden: Es gibt nicht den einen Muster-Entwurf, über dessen Struktur sich alle Seminarleitungen einig sind. Dennoch kristallisieren sich wesentliche Merkmale eines solchen Entwurfs heraus, die für die Planung und Begründung einer Unterrichtsstunde essentiell sind.
Ein vollständiger Unterrichtsentwurf umfasst etwa 8 Punkte, die wie folgt strukturiert werden können:
- Deckblatt: Titel, Thema der Unterrichtsstunde, vollständiger Name, Name der Schule und jeweiligen Lerngruppe, Raumnummer, Zeitangabe, Name der Schulleitung, der Fachseminarleitung und der Hauptseminarleitung
- Lerngruppe: Anzahl der Kinder (pro Jahrgang in JüL-Klassen), Anzahl der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, Niveaustufeneinteilung der Kinder zur behandelten Leitidee
- Thema und Einbettung in die Unterrichtseinheit: tabellarische Auflistung aller Unterrichtsstunden der jeweiligen Einheit, in welcher die UB-Stunde eingebettet (und bestenfalls farblich markiert) ist
- Kompetenzen und Standardkonkretisierung: zitierte Standards und Kompetenzen aus dem Rahmenlehrplan für die jeweiligen Niveaustufen der Lerngruppe sowie eine daraus formulierte Standardkonkretisierung für die spezifische Unterrichtsstunde
- Individuelle Kompetenzentwicklung: tabellarische Darstellung der angestrebten Kompetenzentwicklung von mindestens drei Kindern mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen mit Ausweisung der jeweiligen Niveaustufen
- Begründung der Lehr- und Lernstruktur: Sachdarstellung des Unterrichtsthemas, Erläuterung der didaktischen Reduktion und Begründung der methodisch-didaktischen Entscheidungen
- Verlaufsplanung: tabellarische Darstellung des geplanten Unterrichtsverlaufs unter Berücksichtigung aller stattfindenden Handlungen und genutzten Medien sowie Sozialformen
- Quellennachweis: Quellenangaben zur verwendeten Literatur (bspw. für die Sachdarstellung des Themas oder die Erläuterung einer bestimmten Methode)
- Anhang: Sitzplan, Arbeitsblätter, Tafelbild / Folien, Tippkarten, Lösungsblätter, etc.
Für die ersten UBs wird grundsätzlich kein vollständiger Entwurf erwartet, sondern meist erst ab der Mitte der Ausbildungszeit, da es einige Zeit braucht, um die Lerngruppe kennenzulernen und sich in die theoretischen Strukturen einzufinden.
Ein Ausflug in den Wald
Meine ältere Bezugsklasse (Jahrgang 4 bis 6) arbeitet seit Beginn des Schuljahres an einem Waldprojekt und hat auf Klassenfahrt bereits eine ganze Woche im Wald verbracht. In regelmäßigen Abständen möchte die Klassenlehrerin ihrer Lerngruppe Ausflüge in den Wald ermöglichen. Dazu wird immer derselbe Platz im Wald aufgesucht, um diesen Raum in der Natur zu einer Art erweiterter Heimat zu machen, welche mit ganz besonderen Erfahrungen und Erinnerungen verbunden ist. Die Ritualisierung der Waldausflüge empfinde ich als eine sehr wertvolle Idee, deren positive gruppendynamische Effekte nicht zu unterschätzen sind.
Von der Klassenlehrerin lerne ich, welche Aktivitäten mit Lerngruppen im Wald möglich sind und ich erlebe teilweise am eigenen Leib, welche Effekte sie mit sich bringen. Hier ist eine kleine Auflistung zur Inspiration:
- Amerikanische Schneeleoparden spielen: Alle Kinder schlüpfen in die Rolle von amerikanischen Schneeleoparden, welche für ihre Kletter- und Anschleichkünste bekannt sind. Ein Kind wird ausgewählt, das sich die Augen zuhält und beginnt, zu zählen. Gezählt wird wie folgt: “10 amerikanische Schneeleoparden, 9 amerikanische Schneeleoparden, …”. Währenddessen verteilen sich die anderen im näheren Umfeld und verstecken sich hinter Bäumen und Büschen. Ist das zählende Kind bei 0 angekommen, darf es nach den versteckten Schneeleoparden Ausschau halten, ohne sich dabei vom Fleck zu bewegen. Das suchende Kind ist wie ein Baum mit dem Boden verwurzelt und darf lediglich den Kopf drehen und den Oberkörper etwas beugen. Erspäht es andere Kinder hinter Bäumen, darf es laut die Namen der Kinder oder die Farbe ihrer Kleidung rufen. Entdeckte Schneeleoparden müssen in den darauffolgenden Runden aussetzen. In der zweiten Runde wird der Countdown von 9 gestartet, in der dritten Runde von 8 und so weiter. Am Ende haben die Schneeleoparden nur noch “1 amerikanischer Schneeleopard” Zeit, um sich für das zählende Kind unsichtbar zu machen und mucksmäuschenstill auf ihrer Position zu verharren. Bei dieser Versteckübung haben die Kids nicht nur eine Menge Spaß, sie trainieren außerdem ihr Gefühl für Perspektiven und Raumgegebenheiten und schärfen ihre Wahrnehmung und Konzentration.
- Lieder singen und Salbei-Ritual durchführen: Alle sammeln sich in einem Sitzkreis, der mit herumliegenden dickeren Ästen geformt werden kann. Die Lehrkraft gibt etwas weißen Salbei (auch indianischer Räuchersalbei genannt) in eine Muschelschale und brennt ihn an, sodass der Salbei wie ein Räucherstäbchen beständig etwas Rauch von sich gibt, der etwas gewöhnungsbedürftig riecht. Die Lehrkraft stimmt ein ruhiges, indianisch klingendes Lied an, welches die Lerngruppe auf ihrer Klassenfahrt regelmäßig gesungen hat. Sie wedelt den Rauch mit fließenden Bewegungen zu sich, er soll unter anderem Insekten fernhalten. Dann gibt sie die Muschelschale singend weiter. Die meisten Kinder steigen mit ein und es entsteht eine sehr angenehme und andächtige Geräuschkulisse, die mir ganz unerwartet ein Tränchen in die Augen treibt – hat keiner gesehen. Ich gebe zu, das Ganze war mir in den ersten Sekunden doch etwas zu spirituell angehaucht, doch als ich sah, wie behutsam wirklich jedes Kind mit der Räucherschale umging und welche kraftvolle Ruhe in die sonst so wuseligen Köpfe einkehrte, war ich überzeugt davon, dass Rituale dieser besonderen Art ein ganz großes Potential für die Gruppe als solches, aber auch für jede und jeden Einzelnen bergen.
- Baumrinden-Mosaik erstellen: Alle Kinder erhalten ein weißes DIN A4 Blatt, welches sie so falten, dass das Blatt in vier Bereiche geteilt ist. Mit diesem Blatt und einem Wachsmalstift erkunden sie die Bäume in ihrer unmittelbaren Umgebung und versuchen, vier verschiedene Rindenstrukturen zu finden, deren Struktur sie auf ihr Blatt übertragen möchten. Dazu drücken die Lernenden das Papier an den Baumstamm und schraffieren mit dem Stift über das Papier, sodass eine Art Negativ entsteht. Zum Schluss können die Bilder zerschnitten werden und die bunten Schnipsel der ganzen Gruppe neu arrangiert werden, sodass ein buntes Mosaik entsteht.
- Augenblick-Fotos machen: Die Lernenden gehen zu zweit durch den Wald. Ein Kind übernimmt die Rolle des Fotografierenden, das andere Kind die Rolle der Kamera. Das Kamerakind setzt eine Augenbinde auf oder schließt die Augen ganz fest. Es wird vom Fotografenkind nun an verschiedene Ort im Wald geführt, die es für fotografierenswert hält. Um ein Foto zu schießen, zählt das Fotografenkind am besten von drei herunter und nimmt dann die Augenbinde des Kamerakindes für etwa 1 bis 2 Sekunden ab. Das Kamerakind öffnet in der Zeit seine Augen und versucht, sich einzuprägen, was es auf dem Bildausschnitt vor seiner Nase sieht. Nach etwa 5 Fotos können die Rollen getauscht werden. Am Ende kommen alle im Kreis zusammen und dürfen reihum erzählen, welche “Fotos” ihnen am besten gefallen haben und warum und wo diese geschossen wurden.
- Wald-Mobiles basteln: Mithilfe von am Boden liegenden Stöcken, Blättern, Tannenzapfen, Gräsern, Früchten, Nüssen und etwas Schnur basteln die Heranwachsenden eigene Mobiles, die sie im Wald aufhängen können. (Kinder-)Messer zum Schnitzen und Scheren zum Schneiden der Schnüre sollten bestenfalls auch vorhanden sein, damit die Lernenden ihre Schmuckstücke selbstständig optimieren können. Das Schmücken des Orts sorgt für eine nähere emotionale Bindung zur Umgebung und spannt außerdem die Neugier, ob das waldige Wohnzimmer beim nächsten Mal noch genau so aussieht.
Erkenntnisse auf dem Weg zur Professionalität
- Jetzt sammle ich die Eventualitäten, auf die ich später professionell reagieren muss. Die ersten Unterrichtsbesuche machten mir deutlich, dass ich das Referendariat als eine Art Forest Gump’sche Pralinenschachtel für die oben erwähnten Eventualitäten betrachten kann. Denn einerseits stimmt es zwar, dass man sich nicht auf alle Eventualitäten vorbereiten kann, die den Unterricht sprengen können, andererseits macht man es sich damit auch etwas zu leicht. Denn natürlich hätte ich auch mitbedenken können, dass es bei der Gruppenarbeit im Matheunterricht zu genau diesen Problemen kommen könnte, auch wenn das bisher nicht oft der Fall war. Und natürlich hätte ich mich darauf vorbereiten und mir für den Fall der Fälle Handlungsalternativen zurechtlegen können. Habe ich aber nicht. Ich war einfach nur froh, die geforderten Punkte des schriftlichen Unterrichtsentwurfs erfüllt zu haben. Natürlich muss ich mich auch davor hüten, aus diesen 45 Minuten eine unbezwingbare wissenschaftliche Arbeit zu machen, aber ich nehme zumindest daraus mit, dass das Durchspielen von möglichen Horrorszenarien für die theoretische Unterrichtsstunde durchaus hilfreich für die Praxis sein kann.
- Außerschulische Aktivitäten allein stärken keine Beziehung! Im ersten Bericht hatte ich bereits erwähnt, dass ich hinsichtlich der Beziehungsentwicklung zwischen mir und meinen Lerngruppen Bedenken habe, da ich meine Lerngruppen jeweils nur einmal in der Woche zu Gesicht bekomme und es mir so beinahe unmöglich scheint, eine wirklich starke Bindung aufzubauen. Außerschulische Aktivitäten wie Exkursionen und Klassenfahrten wirken sich für gewöhnlich immer positiv auf das Verhältnis zwischen Lehrkraft und Lerngruppe aus, da sich die gesamte Gruppe in anderen Kontexten, Intensitäten und Freiheiten kennenlernen kann. Doch all diese gemeinsamen Erfahrungen können ihre positive Wirkung nicht richtig entfalten, wenn sie – wie in meinem Wochenplan – vereinzelt bleiben und zu viel Zeit zwischen den persönlichen Treffen liegt. Es ist ein Tropfen auf dem heißen Stein, der bis zur nächsten Woche fast schon wieder verdunstet ist. Das ist schade, steigert aber meine Vorfreude auf die Zeit als Klassenlehrerin einer eigenen Klasse, die ich mehrere Tage hintereinander sehen und kennenlernen kann.
Medium des Monats
In diesem Monat wird die Platzdeckchen-Methode zum Medium des Monats gekürt. Diese kollaborative Lernform ist besonders geeignet für Fragestellungen und Arbeitsaufträge, die mehrere korrekte Antworten zulassen. Der Ablauf ähnelt stark der im letzten Beitrag erläuterten Think-Pair-Share-Methode, da er in die gleichen drei Arbeitsphasen gegliedert ist.
1. Denkphase: Jedes Kind denkt zunächst ganz still für sich über die Fragestellung nach und versucht, erste eigene Antworten zu finden. Diese werden im jeweiligen Außenfeld des Platzdeckchens stichpunktartig notiert. Diese Phase sollte relativ kurz gehalten werden, je nach Arbeitsauftrag und Lerngruppe bieten sich eine bis fünf Minuten an.
2. Austauschphase: Nun stellt jedes Kind seine Ideen mithilfe der gemachten Notizen im Außenfeld den anderen Gruppenmitgliedern vor und hört sich die Beiträge der anderen aufmerksam an. Anschließend entscheiden die Gruppenmitglieder, welche der Antworten in das finale Mittelfeld übertragen werden. Dazu müssen die Lernenden ihre Notizen aus den Außenfeldern teilweise zusammenfassen, konkretisieren, umformulieren oder in eine Rangfolge bringen – je nach Arbeitsauftrag. Das fertig ausgefüllte Mittelfeld kann zum Schluss ausgeschnitten werden, um die Präsentation der Ergebnisse übersichtlicher zu gestalten.
3. Präsentationsphase: Die Gruppen (oder nur ein bis zwei Mitglieder) stellen ihre im Mittelfeld dokumentierten Ideen, Ergebnisse oder Lösungsansätze der Klasse vor und begründen gegebenenfalls ihre Entscheidungen. Auch unterschiedliche Denkansätze einzelner Gruppenmitglieder können hier thematisiert werden, sofern sie gewinnbringend für die Anschlussdiskussion sind.
Die Platzdeckchen-Methode kann zum Beispiel eingesetzt werden, um das Vorwissen der Klasse zu aktivieren und zu strukturieren, um erarbeitetes Wissen zu wiederholen und zu sichern oder um kreative Lösungsansätze zu entwickeln.
Ratschläge und Leitsätze für alle Lehrkraft-Neulinge
- “Du bist der Kuchen, nicht der Krümel!” – Man sollte meinen, dass sich Lehrkräfte dessen bewusst sind im Bezug auf die Autorität in ihrer Lerngruppe. Aber für mich scheint das im Umgang mit sehr herausfordernden Schülerinnen und Schülern noch eine wackelige Basis darzustellen. In einer meiner Bezugsklassen bringt mich ein Schüler regelmäßig an meine Grenzen mit seinem respektlosen Verhalten mir und anderen Kindern gegenüber. Kontinuierliches Stören anderer Kinder und des Unterrichts, strikte Arbeitsverweigerung und provokante Diskussionen stehen auf der Tagesordnung. Ich würde mich selbst als geduldigen Menschen bezeichnen, aber dieser Schüler springt wie ein übermütiger Seiltanzakrobat auf meinem Geduldsfaden herum und lässt ihn mit Vergnügen nach oben schnalzen. Irgendwann machte es “PENG!” und er war gerissen. Ich wusste, was zunächst zu tun war: tief ein- und ausatmen und innerlich langsam bis drei zählen. So. Der nächste Schritt bestand darin, die Lehrkraft der Nachbarklasse zu bitten, den Schüler für den Rest der Stunde bei sich aufzunehmen. Sie wusste sofort, um wen es geht, nickte beruhigend und sagte, sie habe schon den richtigen Platz und eine Aufgabe für ihn. Sehr gut. Also wieder zurück ins Klassenzimmer. “Pack bitte deine Sachen zusammen und gehe in die Nachbarklasse, du wirst dort erwartet”, sagte ich mit ernstem Blick und Ton. “Nö”, war seine pointierte Antwort. Gut, das hätte ich erwarten können. Dann versuchte ich es mit Elternpädagogik: “Ich sage es jetzt ein letztes Mal …” Und natürlich wiederholte daraufhin auch er seine Antwort – “Nö”. Es waren nicht die Worte, es war der Blick, mit dem er es sagte, der mich zwischen Machtlosigkeit und Zorn schwanken ließ. Glücklicherweise war die Klassenlehrerin an dem Tag zu früh erschienen und in einem Nebenzimmer ansprechbar. Ich holte sie und musste nicht viel sagen. Ihre Ansage war nach einigen lauten Diskussionsversuchen seinerseits schließlich wirksam und es war wieder Ruhe eingekehrt. In der großen Pause gab es ein Krisengespräch zwischen uns und der Klassenlehrerin. Sie übernahm dankenswerterweise das Reden – vielleicht, weil sie gesehen hat, wie aufgewühlt ich war. In diesem Gespräch verdeutlichte sie dem Schüler (nicht das erste Mal) die sozialen Hierarchien in der Klassengemeinschaft bzw. Verhältnis zwischen “Kuchen” und “Krümel”. Das klang zuerst recht hart für mich, weil sowohl die Klassenlehrerin als auch ich uns für ein Verhältnis auf “Augenhöhe” einsetzen. Allerdings ist es eine notwendige Rahmenbedingung für jede zweckbedingte Gemeinschaft, dass die Rechte und Pflichten von Gruppenleitenden stellenweise über die der Gruppenteilnehmenden hinausgehen. Stichwort: Autorität.
Was zu sagen bleibt…
Das Schiff schaukelt noch, der Wind bläst häufig von hinten und ich habe ein paar Knoten zugelegt – auch in meinem Kopf. Im nächsten Bericht erzähle ich von einem lehrreichen Projekt, von spontanen Vertretungsstunden und erzähle, was angehende Lehrkräfte in den Ferien wirklich machen. Bis dahin schließe ich mit den Worten des großen Tagebuchschreibers Bert:
“Alles ok, Kartoffelpüree!” [1]
[1] Jacobsson u. Olsson (1996): Berts gesammelte Katastrophen. Oetinger Verlag.
Autorin: Carla
Für etwa drei Jahre schrieb ich Artikel für das phase6 Magazin und das Lehrkräfte Magazin. Mit besonderer Vorliebe widmete ich mich dabei spannenden Themen der pädagogischen Psychologie in Theorie und Praxis. Während meines Referendariats an einer Berliner Grundschule schrieb ich Erfahrungsberichte und gab einen Einblick in meinen Schul- und Ausbildungsalltag. Mittlerweile befinde ich mich in der turbulenten Berufseinstiegsphase und darf eine jahrgangsgemischte Lerngruppe an einer montessori-orientierten Grundschule in Berlin unterrichten.