Der Begriff „Sprachsensibler Fachunterricht“ gewinnt zunehmend an Bedeutung. Längst ist ein sensibler Übergang von der Alltagssprache der Schülerinnen und Schüler zur Bildungssprache nicht mehr nur als Aufgabe des Faches Deutsch angesehen. Doch – was verbirgt sich hinter dem „Sprachsensiblen Fachunterricht“ und was sollten Lehrkräfte hierbei beachten?
Bildungssprache
Um entlang der Bildungskette am Alltag und im Beruf erfolgreich teilhaben zu können, ist die Bildungssprache eine Schlüsselkompetenz. Die gesellschaftliche Diskussion ist geprägt durch Elemente der Bildungssprache. Wer fachsprachliche Kompetenzen beherrscht, dem wird im schulischen Kontext oft auch die Beherrschung der Bildungssprache zugeschrieben.
In jedem Fach bedienen die Schülerinnen und Schüler dabei verschiedene Sprachhandlungen. So erfordern bestimmte Operatoren im fachspezifischen Kontext bestimmte Handlungen. Etwa: Beschreiben, Erklären, Beurteilen, Diskutieren etc. Auch handeln die Schülerinnen und Schüler mit Blick auf verschiedene Fächer schriftsprachlich facettenreich: Sie interpretieren, führen Protokolle, beschriften Tabellen oder Schaubilder etc.
Ziel ist es, Schülerinnen und Schülern den Übergang von der Alltagssprache zur Bildungssprache gelingend zu ermöglichen. Deshalb ist es im Sinne einer durchgängigen Sprachbildung inzwischen Konsens, dass es von großer Bedeutung ist, im Fachunterricht sprachsensibel zu handeln. Doch – was bedeutet das?
Sprachsensibler Fachunterricht
Im sprachsensiblen Fachunterricht wird der Heterogenität und Diversität der Schülerinnen und Schüler Rechnung getragen. Diese werden gezielt und schrittweise an die Register der Bildungssprache herangeführt. Ihrem Alter gemäß sollen sie an den fachspezifischen Diskussionen aktiv teilhaben und teilnehmen können.
Berücksichtigt werden dabei nach dem Didaktiker Josef Leisen die sprachliche Heterogenität, die fachliche Heterogenität und die kulturelle Heterogenität.
Rolle der Lehrkraft
Die Lehrkraft arbeitet im sprachsensiblen Fachunterricht einerseits mithilfe einer präzisen Sprache in der Rolle des sprachlichen Vorbildes – und auf der anderen Seite durch Hinzunahme von handlungsorientierten und kooperativen Lernmethoden. Für ihren sprachsensiblen Fachunterricht formuliert sie neben inhaltlichen Zielen auch sprachliche Ziele und hat Sprachlernsituationen in ihrem Unterricht im Blick und nutzt diese.
Diese Vorentlastung von Unterrichtsinhalten und Texten ist bedeutsam. Sie benötigt zwar vor der Unterrichtseinheit einige Zeit – und natürlich auch während des Unterrichts. Dennoch lohnt sich dieser Zeitaufwand, da Schritt für Schritt Strategien hinsichtlich der durchgängigen Sprachbildung bei den Schülerinnen und Schülern ausgebildet und trainiert werden.
Lesen
Beim Lesen ist es wichtig, das Leseverstehen durch das Gestalten der drei Lesephasen zu erleichtern. Einmal in die Phase vor dem Lesen (Pre-Reading), während des Lesens (While-Reading) und nach dem Lesen (Post-Reading).
Vor dem Lesen überlegt die Lehrkraft, wie sie den Text entzerren kann. Welche Begriffe müssten zunächst geklärt werden? Welches Bildmaterial dient der Veranschaulichung? Muss ein Text gegebenenfalls gekürzt werden?
Während des Lesens kommen weitere Hilfsmittel zum Einsatz wie etwa Wörterbücher. Auch kooperative Lesemethoden wie zum Beispiel das reziproke Lesen oder das Tandem-Lesen eines Textes, der in kürzere Sinnabschnitte aufgeteilt wurde, kommen hier zum Einsatz. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, zusätzlich Audio-Texte zur Verfügung zu stellen, die beispielsweise von der Lehrkraft oder von Schülerinnen und Schülern auf einem Tablet-PC aufgezeichnet wurden.
Nach dem Lesen kommen handlungs- und produktionsorientierte Methoden zum Einsatz. So zum Beispiel die szenische Darstellung, der Standbildbau oder eine Umsetzung in ein Hörspiel. Auch die Visualisierung des Gelesenen in Tabellenform oder in einem Mindmap ist hilfreich.
Schreiben
Das Schreiben bedeutet für Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache häufig eine besondere Herausforderung. Auch hier ist es wichtig, dass die Operatoren vorab transparent gemacht werden. Soll ein Text abgeschrieben werden? Sollen die Lernenden einen Text zusammenfassen? Wird ein schriftlicher Kommentar verlangt? Oder soll ein Text aus einer anderen Perspektive verfasst werden?
Schreibprozesse wie das gezielte Planen und Produzieren von Texten können in heterogenen Gruppen gemeinsam bewusst gemacht werden. Auch ist es in einzelnen Unterrichtsphasen hilfreich, spontanes freies Schreiben in Kleingruppen anzubieten. Dieses weckt die Schreibfreude und ermöglicht es allen Kindern und Jugendlichen, den eigenen Erfahrungshorizont einzubeziehen, ihren Kompetenzen gemäß eigene Texte zu formulieren und diese etwa mithilfe einfacher Skizzen oder Bilder zu veranschaulichen.
Mündlichkeit
Im mündlichen Bereich ist es nach Leisen hilfreich, die Schülerinnen und Schüler in ein so genanntes Sprachbad eintauchen zu lassen. Damit ist die sprachliche Umgebung im Unterricht gemeint: Welche Begriffe und Sprachregister werden (von mir als Lehrkraft) im Unterricht verwendet und von den Lernenden aufgenommen, sowohl mündlich als auch schriftlich? Ein bildungssprachliches Sprachbad sollte natürlich von den Lernenden zu bewältigen sein, aber es ermöglicht ihnen, sich in die Bildungssprache einzuhören. Im Fremdsprachenunterricht spricht man von der so genannten „silent period“, also einer Phase, in der die Lernenden aktiv zuhören, die Sprache also rezipieren – aber sich noch nicht in dieser Sprache äußern. Die eigenen mündlichen Sprachäußerungen erfolgen dann häufig schrittweise von selbst.
Methodenvielfalt und Aufgabenstellungen
Die Aufgabenstellungen sollen alle Schülerinnen und Schüler ansprechen und ihnen Sprachlernprozesse ermöglichen. Beim “Scaffolding” wird ihnen durch gestufte und individuelle Aufgabenstellungen ein Gerüst zur Sprachbildung angeboten, das während des Lernprozesses auch schrittweise wieder abgebaut werden kann. Eine geschickte Methodenvielfalt – etwa durch kooperative Lernmethoden – unterstützt dieses zielgerichtet. Auch die Portfolioarbeit, die die Schülerinnen und Schüler in ihren eigenen Sprachlernprozess aktiv einbezieht, eignet sich in besonderer Weise.
Methodenpool
Wichtige Methoden sind etwa „Think-Pair-Share“, bei der sich zunächst jeder einzelne Schüler oder jede einzelne Schülerin Gedanken zu einer Aufgabenstellung macht. Anschließend tauscht man sich in Paaren aus, um dann die Aufgabenstellung im Plenum zu diskutieren.
Szenische Darstellungsformen wie Rollenspiele oder Standbildbau lassen sich sehr gut in den Unterricht integrieren. Mithilfe von digitalen Medien wie etwa Tablet-PCs können Inhalte veranschaulicht werden. Apps wie etwa „Explain Everything“ ermöglichen Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern das Erstellen eigener kleiner Lernvideos. Mithilfe von Apps wie zum Beispiel „Book Creator“ können eigene Bücher in Szene gesetzt werden. Die Arbeit mit Greenscreens versetzt die Schülerinnen und Schüler ohne viel Aufwand in verschiedene Welten und Rollen.
Beim Lesen und Schreiben nimmt darüber hinaus die Arbeit in Tandems einen großen Stellenwert ein. Hier können beispielsweise Tandembögen in die Bearbeitung einbezogen werden.
Einen umfassenden Methodenpool finden Lehrkräfte u.a. im Handbuch von Josef Leisen [1] sowie auf seiner informativen Website zum sprachsensiblen Unterricht [2].
Quellen:
[1] Josef Leisen (2013): Handbuch Sprachförderung im Fach. Sprachsensibler Fachunterricht in der Praxis. 2 Broschüren im Schuber. Klett Verlag.
[2] Website von Josef Leisen zum sprachsensiblen Fachunterricht.